Separatisten in Idstein


Die Episode des Separatistenüberfalls auf Idstein lassen wir einen Zeitzeugen erzählen, den Drucker und Verleger der “Idsteiner Zeitung”, Herrn Georg Grandpierre (1869 – 1932, rechts).
Er hat präzise von den Ereignisse dieser “wilden” Tage erzählt und sein Sohn, ebenfalls ein Georg (“Schorsch”), hat uns die Niederschrift überlassen.
Mit freundlicher Erlaubnis von Frau Elinor Daum-Grandpierre und Herrn Klaus Grandpierre veröffentlichen wir Auszüge.


Doch zunächst die Hintergründe:
Aufgrund der Bemühungen Frankreichs, den linksrheinischen Teil Deutschlands vom Reich zu lösen, bekamen die deutschen Vertreter eines radikalen Separatismus die Oberhand.
Die Franzosen duldeten diese Bestrebungen.
Unter dem Vorwand, daß Deutschland bei einigen Reparationsliefe- rungen im Rückstand sei, ließen Frankreich und Belgien das Ruhrge- biet am 9. Januar 1923 durch Truppen besetzen.
Ruhrgebiet und Rheinland sollten als “produktive Pfänder” dienen.
In dieser Krisensituation sahen separatistische Politiker einen günstigen Zeitpunkt gekommen, um ihr Ziel, einen abgetrennten Rheinstaat (“Rheinische Republik”), zu erreichen. Die Separatisten agitierten in etlichen Dörfern und Städten von Mainz bis Köln mit wohlwollender Duldung und heimlicher Unterstützung der französischen Besatzer.
Das Ende der Rheinischen Republik war durch die mangelnde Unterstützung der Bevölkerung vorhersehbar. Die Bevölkerung fühlte sich nicht befreit, sondern bedroht, und die patriotische Gesinnung der Separatisten war nicht glaubhaft angesichts der Duldung durch die französische Generalität.
Schließlich verständigten sich Frankreich und Großbritannien auf die Beendigung der separatistischen Bestrebungen. Am 28. Dezember war die Rheinische Republik offiziell vorbei.

Hier nun (mit Auslassungen und nur in Ausschnitten die Schilderung unseres Zeitzeugen Georg Grandpierre:
“Das Jahr 1923 war ein tolles Jahr. Die Inflation raste weiter. Die Mark wurde zur Milliarde und schließlich zur Billion. Die Kreise und Städte druckten Notgeld, weil sie vom Reiche nicht mehr schnell genug mit Papierscheinen versorgt werden konnten. Da kam über mich und mein Haus eine neue Gefahr, die nicht weniger aufregend war als meine im vorigen Kapitel geschilderte Bedrängnis. Sie wurde hervorgerufen durch die Verbrecher, die das rheinische Land vom deutschen Reich losreißen und mehr oder weniger verdeckt den Franzosen in die Hände spielen wollten.
Man nannte sie die Separatisten…

…Die Inflation ging eigentlich schon ihrem Ende entgegen – es wurde schon von der kommenden Rentenmark gesprochen, die Papiermarkwerte rollten aber noch so dahin, die Milliardenscheine waren an der Tagesordnung.
Ende Oktober 1923, …hörte ich von einem Zwischenfall, den ein Zivilfranzose namens Jules Geng, der mit der Witwe Tag in Wörsdorf verheiratet war, veranlaßt hatte. Dieser Kerl wollte eines Abends in Idstein die Rheinische Republik ausrufen und auf dem Rathaus die Fahne hissen. Idsteiner Burschen hinderten ihn und richteten ihn übel zu. Er hatte aber ein Leben wie eine Katze und lief einige Tage später wieder geheilt umher…
Am ersten November wurde bekannt, daß einige Trupps Separatisten im besetzten Gebiet ihr Unwesen trieben; auch für Idstein wurde eine Kolonne angesetzt. Nun hieß es aufpassen und auf dem Posten sein. In meiner Buchdruckerei wurde das Notgeld für den Untertaunuskreis gedruckt. Da war es ratsam, Sorge zu tragen, daß die fertigen, halbfertigen und angefange- nen Papierscheine unsichtbar gemacht wurden…
..Die Annahme, daß die Bande sich schnellstens in Besitz von Papiergeld setzen wollte, wurde nur allzuschnell wahr.
Am zweiten November, nachmittags vier Uhr kam der Zimmermann Karl Diehl an mein Bürofenster und meldete: “Eben kommt die Gesellschaft in mehreren Lastautos von Esch her angefahren.” Von einem Druckereifenster aus beobachtete ich denn auch gleich, wie es in der Rathausgegend lebendig wurde. Bald kamen etwa zehn Kerls, sonderbar bewaffnet mit alten Säbeln und Gewehren, schußbereit die Obergasse herauf. Sie riefen den Leuten an den Fenstern zu: “Kopf hinein, oder wir schießen!
Während  die Separatisten einzogen, zog auch ein französisches Wachkommando auf. Die  Separatisten belegten fast das
ganze Rathaus, die französische Wache die Erdgeschoßzimmer und die nahe Gaststädte “Zum Löwen”. Vor dem Rathause wurden zwei Maschinengewehre aufgepflanzt. Die Unruhestifter standen also offensichtlich unter dem Schutz der Franzosen.

Separatisten ums Justi – Denkmal gruppiert.

An diesem zweiten November – es war ein Freitag – war ich zwischen fünf bis sechs Uhr mit der Zeitungsexpedition beschäftigt, als die Separatistenführer Cafine und Seidel mit meinem Sohn Georg gestikulierend und lebhaft streitend den Maschi- nensaal betraten. Seidel sagte: “Es darf keine Zeitungsnummer die Druckerei verlassen, bevor wir sie gesehen haben. Sie müssen unsere Anordnungen genau befolgen und alle unsere Ausschreiben aufnehmen.”

So schnell ließ ich mich nun doch nicht ins Bockshorn jagen. “Mit welchem Recht fordern Sie das von mir?” fragte ich zurück. “Wir fordern das als Vertreter der Rheinischen Republik”, war ihre freche Antwort. “Die kenne ich vorläufig noch nicht,” gab ich zurück, “Sie müssen mir schon gestatten, daß ich mich bei Ihren Wünschen von Fall zu Fall entscheide.” “Mit Ihnen werden wir schon fertig werden,” meinte Cafine und mit der Reitpeitsche fuchtelnd verließen sie durch die Setzerei das Lokal.

Einige Minuten später ließ mich meine Frau in das Büro rufen und wieder traf ich auf Cafine und Seidel, diesmal in Gesell- schaft von noch vier anderen dieser Burschen. Sie wussten, daß in meiner Druckerei das Notgeld für den Untertaunuskreis gedruckt wurde, und verlangten Geld. Ich gab ihnen den Bescheid, das Geld sei abgeliefert. Natürlich wollten sie das nicht glauben und … verlangten schließlich das Kreisausschussmitglied Franz Vietor zu sprechen, der das Notgeld kontrollierte und den Teil, der in Idstein keine Verwendung fand, dem Landratsamt in Langenschwalbach zuführte…

In den ersten Frühstunden des folgenden Tages ging in der Druckerei zunächst alles seinen gewohnten Gang. Dann begann die Unruhe von neuem. Etwa 10 1/2 Uhr kamen Cafine und Seidel und … übergaben mir eine schriftliche Auftragserteilung, derzufolge ich 3000 Billionen Mark Notgeld… herstellen sollte…
…Dabei ließ es sich nicht verhindern, daß ein kleiner Rest den Separatisten in die Hände fiel, die das Geld sofort bei unseren Geschäftsleuten in Waren umsetzten oder bei unseren Gastwirten vertranken. Im Rathause hatte sich die Sache schon zugespitzt. Die Separatisten hatten ihre Fahne gehisst. Das hatte zur Folge, daß der Bürgermeister und seine Beamten und Angestellten sich weigerten, ihre Amtsräume zu betreten. Die Arbeit ruhte vollständig…

Es wurde besprochen, was zu tun sei. Dass der Bürgermeister und die Beamten nicht unter der neuen Flagge arbeiten konnten, war selbstverständlich. Sie hätten sich auch gegen ihrer Diensteid vergangen. Entschließungen konnten nicht gefasst werden. Man mußte der Entwicklung der Dinge kalten Blutes entgegensehen.
Als ich um die Mittagsstunde die Schritte meinem Heim entgegenlenkte, fuhr ein Auto vor mir und hielt vor der Druckerei. Einige Obergässer Nachbarn riefen mir zu: “Herr Grandpierre, Sie bekommen wieder angenehmen Besuch.”
Mit gestrafften Nerven betrat ich meinen Hof und fand eine Anzahl Idsteiner Arbeiter und Fremde in lebhafter Unterhaltung. Ich mischte mich nicht ein, freute mich aber, von der Treppe meines Wohnhauses zu hören, wie der Zimmermann Willi Feix einem ‘vornehmen’, mit Hornbrille beäugten Separatisten dort die Meinung sagte. “Sie bekommen Geld, sobald wieder Geld gedruckt ist,” sagte Dr. Dorten.
Dieser Oberverräter, die Seele des Separatismus, ein ehemaliger preußischer Justizbeamter, war es selbst.
Als Dr. Dorten gleich darauf wieder sein Auto bestieg, sagte er zu seinen zurückbleibenden Genossen: “Nun macht mal ordentlich Feuer hinter den Drucker, damit wir Geld bekommen. Wir haben viel Geld nötig.”

Bürgermeister Holstein

Um diesen Auftrag auszuführen, erschien denn auch bald der Adjutant des Gewaltigen – er hieß Feith, wie ich später erfuhr – und verlangte den Rest des fertigen Notgeldes von mir. Er gab sich zufrieden, als ich ihm erwiderte, daß nur ein ganz kleiner Rest vorhanden, der schon dem Lehrer Bieber in Wehen zugesprochen sei. Es sei schon jemand zum Abholen unterwegs…
Immer wieder zeigte sich, daß der Separatistenputsch augenfällig unter dem Schütze der französischen Besatzung stand. Der franzö- sischen Chauvinisten kam es als eine eigene Niederlage vor, daß die Voraussagen des Dr. Dorten und seiner Genossen nicht zutrafen, daß sich in allen Schichten der Bevölkerung ein unerwarteter starker Widerstand den Bemühungen der Landesverräter entgegenstellte.
Überall wurde (mit geringen Ausnahmen) das Trennende beiseite geschoben und nur echt deutschen Gefühlen Ausdruck gegeben. Es wäre keine sehr harte Arbeit gewesen, das Separatistengesindel aus der Stadt hinauszuwerfen…
 Die Separatisten hatten erfahren, daß Idsteiner Arbeiter Notgeld empfangen hätten, um unseren Betrieb dafür zu bestrafen und unter erhöhten Druck zu setzen, wurden gegen Mittag alle Betriebsräume von bewaffneten Separatisten besetzt und das ganze Haus umstellt.
Die Gehilfen verließen trotzdem unbehelligt ihre Arbeitsstätten zur Mittagspause. Als sie aber um halb zwei Uhr zur Arbeit zurückkommen und die “Gesellschaft” noch im Hause landen, berieten sie mit Georg, Otto und Fritz, und es wurde einmütig beschlossen, in einen Proteststreik einzutreten. Keiner ging an die Arbeit. Auch die Zeitung wurde nicht fertiggestellt.
Jetzt kamen aber die Separatisten in Erregung und Wut. Sie forderten Georg drohend auf, Geld zu drucken, falls er der Verhaftung durch die Franzosen entgehen wolle. Daraufhin begab sich Georg unverzüglich zum Rathaus, wo sich der französische Kommandant gerade befand.

Durch den Dolmetscher ließ er ihm sagen, daß er dem Verlangen der Separatisten, Geld für sie zu drucken, nicht nachkäme, und sich lieber der ihm angedrohter Verhaftung durch die Franzosen stelle. Der Kommandant, ein kleiner, dicker, nervöser Offizier sah Georg lange unentschlossen an, schüttelte dann den Kopf und erklärte, daß er sich um Geldangelegenheiten nicht kümmere.
Das war für Georg eine sehr wichtige Äußerung, die geeignet war, seinen und seiner Genossen Widerstand erheblich zu verstärken. Denn jetzt wussten sie, daß sie im Augenblick die Franzosen nicht zu fürchten brauchten, mit den Separatisten wollten sie schon fertig werden.
Der Abend brach herein. Zwischen sieben bis acht Uhr kamen mehrere Separatistenführer ins Redaktionsbüro. Diesmal versuchten sie es mit Güte. Sie machten alle möglichen Versprechungen, Georg und Otto zum Gelddrucken zu veranlassen. Kohlen, Kartoffeln und allerlei Lebensmittel sollten sie in Fülle haben, und Geld könnten sie so viel behalten, wie sie wollten. Sie weigerten sich standhaft…
…Am nächsten Morgen um sieben Uhr sollte nach angestrengter Nachtarbeit im Druckereibetrieb das Geld abgeholt werden. Nachdem die Bande das Haus verlassen hatte, machten sich Georg und Otto auf den Weg, um den Vater und den Bürgermeister Holstein zu suchen… Bürgermeister Holstein und ich freuten uns herzlich über den geleisteten passiven Widerstand und über das tapfere Verhalten meiner Söhne und Gehilfen, und da gerade an diesem 5. November meines Sohnes Georg 23. Geburtstag war, hatten wir berechtigten Anlass, trotz der allgemein ernsten Lage einige Flaschen guten Weines zu trinken…Schließlich kamen wir aber doch gut heim.
Im Streit mit den Separatisten standen wir jetzt auf dem Höhepunkt. Die Atmosphäre war aufs stärkste geladen. Am nächsten Vormittag kam sie zur Explosion. Trotz meiner Müdigkeit mußte ich am Dienstag, dem 6. November, das Bett früh verlassen. Unter der Torfahrt und in dem Hofe befand sich eine Ansammlung von etwa zehn Idsteinern und einer beträchtlichen Anzahl Separatisten mit dem Häuptling Cafine an der Spitze, und ganz bald sah ich auch zwei Marokkaner mit aufgepflanzten Seitengewehren, die sich die Vaterlandsverräter zu ihrer Unterstützung mitgebracht hatten.

Notgeld während der Inflation

Ich stand auf meiner Treppe…Cafine richtete barsch an mich die Frage, warum in der Druckerei nicht gearbeitet würde?
Ich antwortete ihm: “Mit dem, was meine Söhne und Gehilfen gestern getan haben erkläre ich mich solidarisch. Sie dürfen machen was Sie wollen, für die Rheinische Republik wird in meiner Druckerei nichts gearbeitet. Auch die Bevölkerung Idsteins verlangt diese Haltung von mir.”
Hierauf schrie Cafine außer sich vor Wut:
“Die Druckerei ist beschlagnahmt, alle Personen im Hause erkläre ich als verhaftet!” Da rief meine Frau von oben: “Ich lasse mich nicht verhaften, ich gehe nicht mit.” Cafine verbesserte sich dann und rief: “Alle männlichen Personen sind verhaftet.” Ich ging in die Druckerei, nicht um mich der Verhaftung zu entziehen, sondern um rasch noch einmal nachzusehen, wie es dort aussah. Es folgte mir der bekannte “Baron” mit einem Marokkaner. Im Maschinensaal sagte ich zu dem “Baron”: “Es ist mir unfassbar, daß Sie sich so aufführen in meinem Besitztum, das Sie gar nichts angeht, schämen Sie sich!” Da stieß er mich nach dem Marokkaner hin und forderte diesen auf, mich sofort abzuführen. Der kam gehorsam dem Befehle nach. Im Hof bat ich meine Frau, mir ein Paar Schuhe herunterzubringen. Die Schuhe waren schnell zur Stelle, ich durfte sie aber nicht anziehen, sondern mußte mich in meinen Pantoffeln dem Zuge der Verhafteten anschließen, der von einem Marokkaner eröffnet und von dem zweiten geschlossen wurde. So wurden wir, etwa fünfzehn Personen, nach dem Rathaus gebracht…
..Nach etwa einer Stunde entließ uns einer der Separatistenführer mit den Worten: “Wir haben kein Interesse daran, sie hier festzuhalten.” Schleunigst verließen wir unser Arrestlokal. Als aber Cafine bald darauf kam und das Nest leer fand, fluchte er wie toll und wollte uns zurückholen lassen. Doch das erwies sich als unmöglich…
…Ein Auto mit Abgesandten des Separatistenbezirkskommissars Kiefer aus Langenschwalbach hielt vor der Torfahrt. Man legte mir ein Schreiben Kiefers vor, nach dem zu beschlagnahmen und nach Langenschwalbach zu überführen seien: Die Platten zum Druck des Notgeldes, die Nummeriermaschine und ein Ballen Papier. “Gewalt geht hier vor Recht”, sagte ich und fügte mich dem frechen Raube. Widerstand war unmöglich, da ich mich in diesem Augenblick mit meiner Frau und meiner Tochter allein den Aufbegehrenden gegenüber sah.
Um zu dem Ballen Papier zu kommen, mußte die Buchbinderei geöffnet werden. Meine Tochter Klärchen hatte den Schlüssel und war gerade daran aufzuschließen, als die Tür mit rohen Tritten eingeschlagen wurde. Als Klärchen vorwurfsvoll sagte, daß es dieser gewaltsamen Beschädigung nicht bedurft hätte, herrschte sie einer der “feinen” Herren an: “Sie Rotznase, wollen Sie auch etwas sagen?” Ein zweiter (Wilkoming mit Namen) fügte hinzu : “Ihre Brüder und der Maschinensetzer werden heute Nachmittag an die Mauer gestel1t. Da können Sie zusehen. Wenn sie jetzt noch nicht hier sind, wir bekommen sie doch.” Wie gerne hätten sie in ihrer Wut diese Drohung wahr gemacht. Der Maschinensetzer Adolf Maurer hatte sich mit Georg und Otto mehrmals den Separatisten heftig widersetzt.
Dazu hatte Georg früh morgens  auf dem Speicher die Hauptsicherung für die Motoren unbrauchbar gemacht und war vor Geschäftsanfang in der Stadt mit den Gehilfen Georg Bender und Emil Wissig zusammengeblieben, während sich die Ereignisse in der Obergasse zehn abspielten. Ich wußte meine beiden in Gefahr befindlichen Söhne zu erreichen und veranlaßte sie, von Onkel Theodor Link aus, wo sie sich verproviantierten, mit ihren Rädern nach Usingen zu flüchten. Auch Adolf Maurer brachte sich in Sicherheit. Meiner Frau und mir fiel ein Stein vom Herzen, als wir beide außerhalb des Bereichs der Räuberbande wußten, wurde doch in diesen Tagen in Breithard der Wagnermeister Herrmann von den Separatisten erschossen.

Die “Schlacht” bei Eschenhahn

Schießstand der Franzosen an der Schlossbrücke

Inzwischen war im Hotel Lamm ein Telefongespräch abgelauscht worden, demzufolge den Separatisten von Wiesbaden aus Hilfe angekündigt wurde.
Sofort organisierte sich in Idstein ein Kampftrupp. Eine große Anzahl jüngerer Leute scharten sich zusammen, Arbeiter, auch einige Baugewerkschüler waren dabei. Sie zogen auf verschiedenen Wegen gen Eschenhahn zu. Dort bewaffneten sie sich mit Steinen und nahmen Stellung auf einem dicht an die Landstraße stoßenden Felsen. Ein paar ganz schlauen war es sogar gelungen, sich in den Besitz von Flinten zu setzen. Und so erwartete man die Hilfsmannschaft der Separatisten.
Dr. Dorten wurde unter ihnen vermutet, und auf den hatte man es ganz besonders abgesehen. Es kam wirklich zur Schlacht bei Eschenhahn.
Sie war recht blutig. Drei Separatisten blieben auf der Strecke, und von unseren Leuten trug Robert Brühl eine Augenverletzung davon, und Ludwig Michel erhielt einen Lungenschuss. Beide wurden nach Ehrenbach und von dort nach Wiesbaden verschafft. Im Städtischen Krankenhaus zu Wiesbaden wurden sie verpflegt. Brühl konnte bald entlassen werden, während Michel Monate brauchte, bis er wieder arbeitsfähig wurde.
Sonderbarerweise hatten die Franzosen über diese ‘Schlacht’ keinerlei Nachforschungen angestellt. Doch schien es geraten, den Michel nach seiner Heilung in das unbesetzte Deutschland zu bringen, wo er längere Zeit bei einer Schwester im Siegerland wohnte.
Die Kämpfer der “Schlacht bei Eschenhahn” kamen am 6. November erst nach Einbruch der Nacht vereinzelt in ihr Heim zurück.
Einige aber blieben zunächst vorsichtshalber im “Unbesetzten”, bis sie die Luft wieder rein sahen..

Nach den Franzosen kamen 1925 die Engländer nach Idstein, die bis 1930 blieben. Das Zusammenleben mit den Engländern gestaltete sich etwas erträglicher als das mit den Franzosen, berichtete die Idsteiner ZeitungInteressant ist ein Bericht von der “anderen Seite”.
Im Band III der Geschichte der “Royal Ulster Rifles” von Charles Graves ist zu lesen (sinngemäß und in Auszügen übersetzt durch pf):
“…Die letzten zehn Monate unseres (es war die  36. Ulster Division, pf) Aufenthaltes in Deutschland wurde das 1. Bataillon nach Idstein nahe Wiesbaden verlegt…Das Umfeld war im Gegensatz zu Köln etwas anders. Anstatt in einer großen Stadt zu sein, war man nun in einer Kleinstadt, und Baracken und sonstige Unterkünfte waren für die Franzosen improvisiert hergerichtet. Man war eingeengt und nicht sehr bequem untergebracht. Wie auch immer, die Ulsters wurden von der Bevölkerung den Franzosen vorgezogen und deswegen half man uns auch.
Die Bevölkerung hielt allerdings die Britische Rheinarmee für eine Geldquelle und das gab dem Adjutanten Gelegenheit und Vergnügen, in einen riesigen Stempel zu investieren, auf dem “REFUSED” stand (= abgelehnt). Anlass waren die lachhaften Ansprüche der örtlichen Bauern, die angebliche Flurschäden reklamierten. Immer noch herrschte Inflation und am Zahltag brauchte man vier Stunden und mehr, um den Soldaten das Geld zu geben. Der Kompanieoffizier war völlig fertig, als er den Preis eines Vorkriegskleidungsstückes erfuhr. Nach einigem Rechnen stellte sich heraus, das ein halbes englisches Pfund ausreichte!”
Der angebliche Schaden war ein wirklicher. Es ging vor allem um den Schießplatz, den die Briten am “Nack” (Berg) errichtet hatten und dabei rücksichtslos durch das Gelände fuhren.