Die in den zwei vorstehenden Kapiteln geschilderte „Grundstimmung“ im Volk führte nun dazu, daß nach dem Besuch des Feldbergfestes im Jahr 1844 (> Anhang 5) Idsteiner nach der Rückkehr von dort auf dem Felsen im Tiergarten die
„Turngemeinde Idstein“
gründeten.
Zuvor war schon einmal ein Versuch turnerischer Betätigung gestartet worden:
1814 In Idstein wird eine „Deutsche Gesellschaft“ nach dem Vorbilde Arndts gegründet.
Die Idee kam von Butzbach nach Idstein. Ebenso wie in Butzbach wurde in Idstein geturnt.
Wilhelm Snell, Idsteiner Bürger, schreibt Ende Juli 1814:
„In Idstein besteht jetzt eine große teutsche Gesellschaft, die sich sehr erweitern wird. Wir turnen auch bereits, da wir wohl einmal ein bewaffnetes Korps aufstellen müssen„.
Über diese Zeit schreibt Franz Wilhelm Beck („Die Turnerei im Nassauer Land“):
„So erklärt sich, daß 1814 in Gießen geturnt wurde, daß durch Weidig auf dem Schrenzer in Butzbach im Hessischen und durch die Gebrüder Snell in Idstein ein Turnplatz entstand:
D e r e r s t e i n N a s s a u „.
Nach einem Jahr (25. 2. 1815) war es damit schon vorbei.
Zu Snells Brief sagt Beck:
„Das ist unbestreitbar der Anfang des Turnens im Nassauer Land, ein turnerisches Ehrenblatt für Idstein„.
Und, an anderer Stelle: „In Idstein ging die Saat Jahns zuerst auf. „
Die Turnvereine in Nassau wurden erst nach 1842 wieder zugelassen.
Sie sind deshalb in der Regel jünger als die Gesangvereine, dafür aber stärker politisiert.
In Idstein war 1843 schon ein Badeweiher für Seminaristen am „Hexenkirchhof“ (imWolfsbacher Wald, heute Gelände des Grillplatzes „An den drei Eichen“) vorhanden.
1844 23. 06. Vereinsgründung; dies ist zugleich der Termin des 1. Feldbergfestes
Die Gründer waren (> Anhang 2):
Joh. Phil. Chr. Ludwig WERNER, Lehrer, 21 Jahre
Karl WELDERT, Student, 17 Jahre
Wilhelm RUWEDEL, 17 Jahre
Jakob HACK, Kappenmacher, 25 Jahre
Philipp SEIB, Häfner, 28 Jahre
Georg HACK, 42 Jahre
Johann Heinrich WEBER, Buchbinder, 35 Jahre
R. HILL
Friedrich VIETOR, Buchbinder.
Andere frühe Turner waren:
Christian BAUMANN, Sprecher +1872, Blaufärber
Johann Adam RUWEDEL (Vater von Wilhelm R. ), 49 Jahre
[Ausführliches zum Gründungstag im Anhang 5]
Manche der Turner gehörten auch dem bereits 1842 gegründeten Männergesangverein „Singfreund“ an.
1845 Seminarturnen unter Turnlehrer Kröck im Seminargarten, Das 2. Feldbergfest wird besucht.
1846 Am 20. 8. reichen namens des Vorstandes der neugebildeten Turngemeinde Fr. Vietor und Fr. Ferber jun. die Statuten zur Genehmigung ein.
Das Gesuch spricht von 45 (!) Mitgliedern. Es wird befürwortet und am 6. 10. 1846 von Wiesbaden genehmigt.
Weniger Glück hatten die Bittsteller C. Wagner, Heinrich Workhard und Friedrich Schütz, die einen neuen Turnverein mit 40 hiesigen Bürgern bilden wollen.
In der Stellungnahme des Amtmannes Spieß heißt es, daß es dann einen zweiten Verein geben würde, an dessen Spitze ein Mann sei, der, früher Seifensieder gewesen, nun vom Ertrage einer Wirtschaft lebe und außerdem ein Vermögen seiner Frau durchgebracht habe. Im Schreiben vom 18. 1. 1847 heißt es wörtlich weiter:
„Seiner Leitung traue ich sehr wenig Ersprießliches für den Verein zu, halte es überhaupt für weit besser, wenn verheiratete Männer, welche sich größtenteils kümmerlich von ihrer Handarbeit ernähren müssen, zuhause bleiben, als daß sie bei Bier, vielleicht auch bei Branntwein gymmnastische Übungen veranstalten, welche ihre geschwundenen Kräfte gewiß noch mehr absorbieren, als daß dieselben gestärkt werden. So unschuldig auch nach den Statuten ein solcher Verein sein dürfte, so kann ich ihn doch nicht sonderlich beantragen„.
Am 23. Januar wird die Genehmigung „ertheilt“, der Verein ist aber nicht mehr in Erscheinung getreten.
1846 Fahnenweihe der von Dorothea Groll, geb. Roth (unten), gefertigten Vereinsfahne.
Das Aussehen der Fahne, geschildert von „Ede“ (Eduard Neitzer) auf der Rückseite eines Fotos (das Originalaussehen konnte teilweise nur noch „geschätzt“ werden):
“Idsteiner Turngemeinde, Fahne von 1846
Farbe chamois, Vorderseite: Im grünen Eichenkranz rosa Eisernes Kreuz mit Fackel und Schwert, beide gekreuzt. Das Schwert mit gelbem Griff und silbernem Blatt, die Fackel mit rot-gelber Flamme.
Rückseite: Aufschrift „Frisch, Frei, Fröhlich, Fromm“, die vier “ F ’s „der Turnerschaft.”
Die Traditionsfahne ist 1992 von Frau Andresen (Bayrisches Armeemuseum in Ingolstadt) fachgemäß restauriert worden und darf nur noch liegend aufbewahrt werden.
Zum „Vorzeigen“ hat sich der TV Idstein eine neue Vereinsfahne in der ehemaligen Tschechoslowakei anfertigen lassen, deren eine Seite eine getreue Kopie der Vorderseite der Traditionsfahne ist.
1846 3. Feldbergturnfest am 12.7.
A. Ravenstein begrüßt die erschienenen Vereine und führt als „neue Gemeinden“ Biebrich, Homburg, Idstein und Wiesbaden ein.
30. 8. :Die Idsteiner sind in Biebrich bei der Fahnenweihe und der Festplatzeinweihung.
1847 4. Feldbergturnfest am 8. 8. (Chr. BAUMANN wird 7. im Steinstoßen. In der (seit 1944 verschollenen) Urkunde (Kopie siehe “Bergturnfeste”) heißt es:
„Der Betreffende hat den Stein von ein Drittel Zentner von der Spitze des vorstehenden Fußes bis zur Mitte des Niederfallortes 12’8“ rheinische Fuß weit gestoßen„.
Preisrichter bei diesem Turnfest ist Jacob Hack aus Idstein. Sieger im Steinstoßen wird Jung aus Walsdorf. Er erhält einen Kristallbecher als Ehrengabe, die Aufschrift lautet: „Ehrengabe der Homburger TG“.
Fahnenweihe
Fahnenweihen waren äußerst festliche Veranstaltungen, bei denen die „Frauen und Jungfrauen“ des Ortes den Turnern eine selbstgestickte Fahne feierlich überreichten. Dabei schritten die Teilnehmer in prozessionsartigen Zügen durch den Ort-die Damen meist in Weiß-und in der Ortsmitte wurde unter würdevollen Reden der Vorsitzenden des Frauenkomitees und des TV die Übergabe vollzogen. Danach folgte ein Schauturnen, politische Reden, Chorgesänge und ein Volksfest mit Tanz. Die schwarz-rot-goldenen Turnerfahnen besaßen für die Turner Symbolcharakter und wurden nach der Auflösung der Vereine oft über Jahrzehnte hinweg vor den Nachforschungen der Behörden verborgen.
Für die Frauen waren die Fahnenkomitees und die Fahnenweihen eine Gelegenheit zu einem öffentlichen Auftritt mit politischem Inhalt, da diese auch eine Demonstration liberal-demokratischer und nationaler Gesinnung darstellten. Nicht selten waren es daher Frauen, Schwestern oder Töchter führender Demokraten, die in den Fahnenkomitees hervortraten.
1848 In Hattersheim findet am 09. 01 eine Versammlung der Turnvereine statt, Idstein ist dabei; in Hattersheim wurde zum gewaltsamen Umsturz aufgerufen.
07. 05. Turntag in Oranienstein, Idstein ist dabei. Es kommt zur Gründung eines Bezirksverbandes von 23 nassauischen Turnvereinen.
16.7. Beim 5.Feldbergturnfest wird der Lehrer Fritz Jung aus Walsdorf Fünfter im Ringen.
23. /24. 7. Turntag in Limburg unter Teilnahme von Idsteinern. Man versucht, das gespaltene Lager der Turner (politisch-weniger politisch) zu einigen; die Limburger Turner zeigen sich streitbar mit Turnvater Jahn.
27. 8. Einweihung des Turnplatzes am „Bermbacher Pfad“ (siehe Kapitel 6).
1849 10. 6. Nassauischer Landeskongreß in der Idsteiner Stadtkirche, SNELL und JUSTI sind dabei.
Die Idsteiner Bürgerwehr hat gerade 150 neue Gewehre bekommen.
13. 6. Beginn der Hausdurchsuchungen, die Vereinsfahne wird bei Ludwig Grüninger im Haus des Schmiedemeisters Ernst Michel, Weiherwiese/Ecke zur kleinen Kreuzgasse, versteckt.
5. 7. Der Vereinsgründer Ludwig WERNER stirbt jung
1849 RUWEDEL bringt aus Diez einen Pokal mit (rechts)..
Im Mai hatte der neugegründete Kreis „Mittelrheinland“ sein erstes Turnier ausgeschrieben.
Der Pokal, aus Kristall, mit kirchroter Einfassung, hatte als Symbol tunrnerischer Kraft und Geschmeidigkeit einen springenden Hirsch in’s Glas eingeätzt.
Der Preis hat 150 Jahre in sicherem Gewahrsam der Familie Barthel überstanden; jetzt behütet ihn Frau Milli Barthel aus der alteingesessen Idsteiner Dachdeckerfamilie.
1850 Turnverbot für Vereine; das Vereinsturnen in Idstein läuft bei den Seminarturnern auf dem Platz „Am Versuchsfeld“ weiter.
1852 Verstecktes Turnen an verschiedenen Plätzen
1855 Es turnen schon wieder 30 Leute. Sprecher (=Vorsitzender) ist Chr. Baumann, Ruwedel ist Turnwart.
1860 17. 7. Coburg : Gründung der Deutschen Turnerschaft. Die Farben der Turner sind schwarz-rot-gold, das Bundeszeichen, die „Vier F“ von Felsing aus Darmstadt, setzt sich ohne Beschlußfassung durch.
12. 8. Weihe des Feldberghauses
1861 Feldbergfest Nr. 10. Einführung des Punktsystems, Buchdrucker Karl Ohlenmacher, seit 1853 Mitglied der TG Idstein, erläßt einen schwungvollen Aufruf zum Besuch.
1862 Ein 40-Zentner-Stein, gestiftet vom Turngau Süd-Nassau, macht sich auf den Weg zur Hasenheide bei Berlin und wird Bestandteil des Unterbaus vom Jahn-Denkmal. Seit damals steht der Name „Idstein“ dort in den Stein geschlagen.
Beim elften Feldbergturnfest ist kein Idsteiner dabei, dafür findet aber ein Besuch des Deutschen. Schützenfestes in Frankfurt zusammen mit den Cambergern statt.
Aus Idstein sind drei, aus Camberg elf Schützen dabei. Heinrich Stuhl aus Herborn gewinnt mit 34 Punkten die von den Schützen aus Idstein und Camberg mitgebrachte Ehrengabe, eine Marmorurne im Wert von fl. 25.
Die enge Verbindung der Schützen mit den Turnern zeigt sich in den Doppelmitgliedschaften:
Schützenverein Idstein, Gegründet 26. 7. 1862, Protokoll der Gründungsversammlung, Auszug:
Vorsitzender Gustav Justi
Schriftführer W. Ziegenmeier
Kassenwart Ph. Mauß
Schützenwarte W. Ruhwedel (TV), L. Scherer
Beisitzer : F. Vietor (TV), E. Roth, Chr. Baumann (TV), H. Dietrich (TV)
1862 Die Idsteiner gehören zum Turngau Süd-Nassau; der 4. Mai gilt als Gründungstag dieses traditionsreichen, heute befreundeten, Gaues.
Aus dem Jahr 1862 ist uns ein Turnerpaß erhalten;Turnerpässe wurden dem wanderndem Turner, der oft auch ein Handwerker war, ausgestellt, damit dieser sich in Zeiten von Argwohn und Bespitzelung leichter an seinem neuen Aufenthaltsort im Verein einleben konnte.
Der Paß (rechts der Kopf) zerfiel beim Herausnehmen aus einem Briefumschlag in vier Teile, bevor man seines Alters gewahr wurde.
Auf Empfehlung von Dr. Heinemann im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden kam der Turnerpaß zum Konservator Lomp nach Schlitz in Oberhessen.
Dort wurde er gewässert, entwest, entsäuert, danach die Rostspuren der eisenhaltigen Gallustinte beseitigt.
Die Fehlstellen im Papier wurden durch Anfasern ausgebessert, das Papier dann innen durch ein säurefreies Stützpapier verfestigt. Dies geschah durch das „Papierspaltverfahren“, bei dem das Papier zwischen Vorder-und Rückseite getrennt wurde!
Der Paß des Turners GREULING:
Unter dem imposanten Briefkopf finden wir folgenden Text:
„Die Turngemeinde Würzburg stellt hiermit ihrem Mitglied Theodor Greuling, Färber aus Idstein, einen Turnpaß aus. Obengenannter war seit 2. September 1861 bei unserer Gemeinde und erwarb sich während dieser Zeit die Achtung seiner Turnbrüder.
Wir empfehlen denselben allen Vereinen zur freundlichen Aufnahme und wünschen ihm Glück auf seinem Wege. „
Nach Würzburg geht Greuling nach Nürnberg, dann nach Dinkelsbühl. Am 3. Mai 1865 wird er als Vorturner von der „Älteren Casseler Turngemeinde“ gelobt.
Der Paß ruht wohlverwahrt im Vereinsarchiv.
1863 Die Idsteiner Turner lassen den ersten von drei statistischen Fragebögen unausgefüllt, die von der“Deutschen Turnzeitung“ versandt wurden (Erhebung Nr 2 und Nr. 3 waren von 1865 und 1871).
So kommt es, daß die „DeutscheTurnzeitung“ 1898 Idstein bei den vor 1850 gegründeteten Vereinen unerwähnt läßt!
Es kommen die ersten Abzeichen des Feldbergturnfestes zum Verkauf.
20. 12. :Idstein fehlt unentschuldigt beim Turntag des Gaues Süd-Nassau in Wiesbaden.
31. 5. : Idstein fehlt beim Turntag des VII. Kreises.
3.7.: Beim 12. Feldbergturnfest erringt Adolf SCHEPP den ersten Eichenkranz der Turngemeinde (= Turnfestsieger) und wird 14. im Preisturnen. Karl Ohlenmacher ist Preisrichter.
(Nur einen einzigen weiteren Turnfestsieger hat Idstein bis zur Jahrhundertwende noch: Emil Christ belegt beim 25. Feldbergturnfest 1878 den 15. Platz im Preisturnen.)
27. 9. : Idstein fehlt abermals bei einem Turntag.
Im „Anzeiger für die Nassauischen TV des Mittelrheinkreises“ steht am 1. 7. :
„. . . einen Abgeordneten des TV Idstein haben wie auf drei aufeinander folgenden Turntagen des 8. Bezirks vergebens gesucht;die TG zu Heftrich hat es noch nicht soweit gebracht, dem Vorort nur die einfache Anzeige ihres Daseins zu machen, und damit glauben die Turner unserer Turnsache zu dienen? Woher diese Erschlaffung in einem Gau, den man früher für einen der strebsamsten zu halten gewohnt war? „
Oktober:(Quelle wie oben).Idstein hat wieder einmal die Mitgliederzahl für eine Statistik nicht gemeldet
:
„. . dagegen restiren noch immer andere (Vereine), die für 2-3 Zeilen Antwort schon drei Monate beschäftigt sind. Ich frage: ‚Sind Eure Schriftführer sämmtlich eingeschlafen oder ist sonst etwas faul im Staate Dänemark‘ „?
Idstein hat 22 Active, 22 Unactive und 22 Zöglinge sowie 25 Abonnenten des „Anzeigers“
(Anmerkung: Die Zahlen sehen sehr „gewollt“ aus).
Ziegenmeyer von Idstein ist am 6. 12. beim Mittelrheinischen Turntag zu Darmstadt Vertreter des Vereins.
24. 12. (!) Idstein hat die Beiträge für den Mittelrheinkreis weder bereitgestellt noch den Namen des Säckelwartes (= Kassierer) gemeldet.
Idstein zahlt 3fl. 32kr. in die „Mittelrheinische Wehrkasse“.
Idstein ist rückständig mit den Beiträgen für die Bezirkskasse.
Die Idsteiner Abonnenten des „Anzeigers“ sind von 25 auf sieben gesunken. Dieser Trend – auch bei anderen Vereinen – führt zum Eingehen dieses Blattes.
Beim Turntag in Winkel wird Idstein für die Abhaltung des Übungsturnens 1865 in Aussicht genommen.
1866 Das Feldbergturnfest fällt wegen des deutschen Bruderkrieges aus; Nassauische Patrioten verlassen ihren Verein, da Nassau jetzt preußischer Regierungsbezirk geworden ist. Beim Feldbergfest taucht der Name „Ruhwedel, Idstein“ auf.
1867 Dr. WELDERT aus Wiesbaden ist Teilnehmer an der 4. Deutschen Turnlehrerversammlung in Stuttgart (1.- 4. 8. ).
1868 12. 7. :Beim 1. Turntag des Gaues SÜD-NASSAU (8. Bezirk) waren anwesend . . . . . Idstein, Dasbach(!).
1872 Nach zwei Jahren Ruhe erfolgt die Konsolidierung des Vereins im Saale RUWEDEL
Die Konstituierung des Vorstandes ergibt:
Sprechwart (= Sprecher) Bauaufseher Franz Vietor
Schriftwart Theodor Greuling
1. Turnwart Wilhelm Ruwedel
2. Turnwart August Groll
Beisitzer: Rudolph Hill, Adolph Fraund, Loni Scherer, Fritz Rübsamen