Persönlicher Rück- und Ausblick

Ein ganz persönlicher Rück- und Ausblick von Dr. Gerhard Achenbach

Nach langen Jahren der Arbeit für und im Kreiskrankenhaus Idstein, insbesondere unter Berücksichtigung der Berichte aus der Zeit zuvor, relativieren sich manche Erlebnisse und Begebenheiten. Es resultieren jedoch auch Erkenntnisse für die Gestaltung der Zukunft.

Durch den Unfalltod meines Vorgängers, kam ich, da ich gerade Urlaub hatte, wenige Tage nach dem Unfall zunächst als Vertretung nach Idstein, mußte und durfte mich allerdings schon nach sehr kurzer Zeit für oder gegen ein weiteres Verbleiben in der Chefarztposition des Fachkrankenhauses für Chirurgie entscheiden.
Diese Entscheidung ist mir wegen des damit verbundenen Wechsels aus dem St. Markuskrankenhaus und seiner Chirurgischen Klinik mit 170 Betten nicht leicht gefallen. Im beratenden Gespräch mit meinem Chef, Herrn Professor Dr. med. Krönke, betonte er, daß man als Oberarzt Anordnungen des Chefs ausführen müsse, als Chef könne man sie selbst treffen. Er hatte allerdings übersehen, daß man im kleinen Haus die Anordnungen zwar treffen, aber danach auch häufig selbst ausführen muß.

Ich reichte dann eine Bewerbung um die vakante Stelle ein und wurde am 1. Juli 1974 nach einem eingehenden Vorstellungs- gespräch beim Kreisausschuß des damaligen Untertaunuskreises zum Chefarzt des Krankenhauses gewählt.
Zuvor hatte sich der Kreis durch Besprechungen bei der Bezirksstelle der Kassenärztlichen Vereinigung in Wiesbaden und beim Landesverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften in Mainz davon überzeugt, daß auch einer ambulanten Tätigkeit durch die Beteiligung an der Kassenärztlichen Versorgung und durch die Ernennung zum Durchgangsarzt nichts entgegenstand. Diese ambulante Tätigkeit des Krankenhauses wurde als eine wichtige Verankerung des Hauses bei der Bevölkerung gesehen und damals vom Krankenhausträger bewußt, wie auch bei meinem Vorgänger, gefördert.

Die feierliche Einführung in mein neues Amt erfolgte am 4. Juli 1974 durch den damaligen Landrat Herrn Karl – Heinz Becker mit den Worten:
„Mögen Sie die Zügel in die Hand nehmen, um den Wagen, den Herr Dr. Volkmann in Gang gesetzt hat, weiterzuführen.“
Im Alltagsgeschehen merkte ich bald , daß es mit dem Führen allein nicht getan ist, sondern daß so ein Wagen auch häufig zu schieben ist.
Eine der ersten Maßnahmen der neuen Arbeit war der Umtausch der Stationen und ihrer Besatzungen im Hause selbst, verbunden mit einer Umwidmung der Arbeitsgebiete.
Hierdurch konnte eine organisatorische Verbesserung erzielt werden, aber gleichzeitig erfolgte eine allgemeine Bestands- aufnahme mit dem damit verbundenen Aufräumen. Hierbei fand ich große Unterstützung der erfahrenen Oberschwester Irene Schreiber, die ich stellvertretend für alle Mitarbeiter besonders dankend erwähnen möchte.

Beeindruckend war in den ersten Jahren das sofortige Vertrauen der Mitarbeiter in den „Neuen“ und die engagierte Gefolgschaft bei den von mir allerdings vorsichtig vorgenommenen Änderungen. Das Haus war von meinem Vorgänger in medizinisch einwandfreier Art und Weise geführt worden. Erst während der Umwandlungen der neunziger Jahre habe ich erkannt, daß ich möglicherweise durch die eine oder andere Änderung die schon zum Teil lange Jahre hier vor mir tätigen Mitarbeiter beunruhigt oder verletzt haben könnte.
Aus meiner vorherigen Arbeitsstelle hatte ich eine Arbeits- und Organisationsweise mitgebracht, die versuchte die Ideen und Vorstellungen der Mitarbeiter in demokratischer und menschlich anständiger Weise zu berücksichtigen. Eine Art, die mir gelegentlich als Schwäche angekreidet wurde, sie erfordert in der Umsetzung jedoch viel mehr Stärke, Zeit und Überzeugungs- kraft.

Wegen der anstehenden Umbauarbeiten mußte ich sofort Gespräche mit dem Architekten Herrn Manfred Neumann führen; miteinander studierten wir die Um- und Neubaupläne und führten auch noch einzelne von mir gewünschte Änderungen durch. Über Jahre war die Baubesprechung an jedem Dienstag ein wichtiger vorgegebener Termin. Dies führte aber auch dazu, daß ich sehr rasch und eng mit dem Haus und seinen Problemen verwuchs. Auch heute erinnere ich mich beim Gang durch das Haus oft an Details der Diskussion.
Bemerkenswert erschien mir, daß ich eine Änderung im Küchenbereich des Altbaues durchführte, die mein Vorgänger – wie ich erst bei späterem Aktenstudium feststellte – schon Jahre zuvor vergeblich gefordert hatte.

Viel Zeit räumte ich dem Gespräch mit den niedergelassenen Ärzten des Einzugsbereiches durch Telefonate und Fortbildungs- veranstaltungen ein. Ich fühlte mich von ihnen und der Bevölkerung aufgenommen und anerkannt, dafür bin ich auch heute noch dankbar.
Besonderen Dank sage ich aber auch meiner Familie, die mich in der Arbeit unterstütze und die ständige Abwesenheit des Ehemanns und Vaters im Krankenhausinteresse und dem verschiedener Ehrenämter über Jahrzehnte verständnisvoll tolerierte.

Mit der Inbetriebnahme der neuen und umgestalteten Räume 1980 hatten wir ein Arbeitsinstrument zur Verfügung, das uns funktionell und schön erschien und das in der Bevölkerung breite Resonanz fand.
Die Stufen der Entwicklung wurden durch die Feiern bei der Öffnung des alten Grundsteins, beim Richtfest und bei Inbetrieb- nahme, aber auch dem Fest nach zehnjähriger Tätigkeit als Chefarzt in Idstein belegt. Mancher Angestellte des Hauses spricht noch von diesen fröhlichen Festen, die wir in großer Zuversicht feierten.

Danach wurde mit einem inzwischen entstandenen eigengeformten Team ( die Abteilung für Anästhesie war inzwischen fest etabliert), in dem Frau Dr. med. Karin Grundig auf Grund ihrer großen chirurgischen Erfahrung und Handfertigkeit einen herausragenden Platz einnahm, in einem damals auch guten Zusammenwirken mit Pflegedienst und Verwaltungsseite die Möglichkeit die Arbeit in modernem Sinne fortzuentwickeln mit allen Kräften genutzt.
Es bestand eine gute Mitarbeitermotivation, die sich in einer angenehmen Arbeitsatmosphäre für alle niederschlug. Die Patien- ten erspürten dies, sahen die bei ihnen erreichten Verbesserungen. Dies führte zu einer stetig steigenden Inanspruchnahme unseres Hauses.
Ein Teil der ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trifft sich seit Jahren unter der Leitung von Frau Ursula Wagner, meiner langjährigen und tatkräftigen Sekretärin und der Alterspräsidentin Frau Lona Wurche zu Wanderungen und einer Weihnachts- feier.

Doch die äußeren Entwicklungen im Krankenhausbereich haben sich in der Folge auch auf die Funktion unseres Hauses ausgewirkt. Sie führten zu schmerzhaften Eingriffen in die Arbeitsweise danach aber auch zu Veränderungen in der Inanspruchnahme des Hauses.
Die Finanznot des Krankenhausträgers, dem Rheingau – Taunus – Kreis, die durch den Krankenhausumbau in weitgehend eigener Kostenregie verstärkt wurde, führte dazu, daß die chirurgische Fortentwicklung , beispielhaft sei die Einführung der endoskopischen Diagnose- und Therapiemethoden genannt, nicht nachvollzogen werden konnte.

Auch der äußere Rahmen verschlechterte sich, da nur unzureichende Mittel zur Erhaltung und Pflege der Bausubstanz vorhanden waren. Die Zusammenarbeit mit den Verwaltungsgremien ließ zu wünschen übrig. Eine Entwicklung, die in dieser Zeit in vielen Krankenhäusern Deutschlands zu beobachten war.
Sie ist ein Ausdruck der Veränderung des Arztbildes in der Öffentlichkeit und den heute häufig geübten pauschalierten Beurteilungen. Trotzdem wurde von Seiten der einzelnen Mitarbeiter immer versucht, die negativen Folgen hiervon zum minimieren.
Die in den letzten Jahren eingetretenen Veränderungen unserer Gesellschaft mit zunehmender Betonung des Ego ist besonders für den sensiblen Menschenumgang im Krankenhaus eine schwere Belastung. So wie die Mitarbeiter zunehmend durch die Entindividualisierung unseres kleinen Hauses sich selbst zur verschiebbaren Verfügungsarbeitskraft herabgemindert sahen, so zogen sie für sich die Konsequenz einer anderen Einstellung zu unserem Arbeitsplatz Krankenhaus.
Diese Sicht der Dinge sehe ich durch ein in jener Zeit erstelltes Gutachten, das sich Gedanken zur Umstrukturierung macht, in vielfältiger Weise bestätigt.

Für mich persönlich war das zunehmende Zusammenstehen mit meinen Chefarztkollegen am Kreiskrankenhaus Bad Schwalbach, insbesondere im chirurgischen Bereich mit Herrn Dr. Greupner, darüber hinausgehend aber auch mit den Herren Dr. Müller und Fleischer bei unserer gleichliegenden Problematik eine wichtige Stütze.

Im Jahr des neunzigjährigen Bestehens ist eine Umorientierung des Krankenhausträgers eingetreten, neue Zielsetzungen wurden mit einer wieder einmal neuen Geschäftsführung erarbeitet, ihre Umsetzung ist wurde in allen Bereichen des Hauses sichtbar. Outsourcing, die moderne Managementtaktik zur Betriebsverschlankung soll der Hinwendung des Krankenhauses zu seinen eigentlichen Aufgaben, zum Patienten und unserer Region, förderlich sein.

Mit der Errichtung der Inneren Abteilung erwuchs mir in meinem Chefarztkollegen Herrn Dr. Schwarz ein geschätzter Mitstreiter. Ein deutlicher Motivationsschub, eine neue Aufbruchsstimmung griff vorsichtig Raum, doch leider waren die äußeren Bedingungen für unser Haus so schwierig, daß es immer wieder zu Wechseln in der Geschäftsführung kam, was zu dem Verlust einer visionären Kontinuität führte.

Immerhin wurde auch auf mein Betreiben die freiwerdende Oberarztstelle in meiner Abteilung im Jahr 1995 mit Chefarztoption ausgeschrieben und mit Herrn Priv. Doz. Dr. med. A. El Mouaaouy entsprechend besetzt.
Die Betriebsgesellschaft entschloss sich in dieser Phase endlich unter Beratung durch den neuen Bad Schwalbacher Chefchirurgen Herrn Dr. Tolksdorff zur Beschaffung des zum endoskopischen Operierens notwendigen Instrumentariums, sodass mit personeller und instrumenteller Modernisierung der Weg im medizinischen Bereich wieder in die Zukunft gerichtet wurde. Seit der Übernahme der chirurgischen Chefarztposition durch meinen Nachfolger Herrn Priv. Doz. Dr. med. A. El Mouaaouy, ist die Abteilung auf modernstem Stand und zeigt, wie in der Vergangenheit bei Chefarztwechseln auch jeweils beobachtet, eine aufstrebende Tendenz.
Es ist uns beiden gelungen einen harmonischen und für Personal und Patientenschaft sinnvollen gleitenden Übergang der chirurgischen Aufgaben zu erreichen.

So kann am Ende der Betrachtung der Geschichte des Krankenhauses in Idstein festgestellt werden, dass das Haus in all den vergangenen Jahren neben unbestrittenen Erfolgen auch immer wieder erhebliche Schwierigkeiten hatte. Sie lagen im Finanzbereich, im Bereich der Akzeptanz, sei es durch Ärzte oder Patienten, aber auch im inneren Bereich der Gestaltung durch Medizin und Verwaltung. Sie lagen aber auch darin, dass der Träger eines Krankenhaus dieser Größenordnung aus finanziellen Gründen immer wieder Schwierigkeiten hatte, der sprunghaften Entwicklung der Medizin in diesem Jahrhundert zu folgen.

Aus der Erkenntnis kann nur geschlossen werden, dass diese Jahrhunderte alte Einrichtung der Hilfe für kranke Menschen in Idstein in der Zeit ihres Bestehens gelernt hat mit jeweils auftretenden externen oder internen Schwierigkeiten fertig zu werden und sich den Entwicklungen sinnvoll anzupassen. Dabei ist es immer wieder gelungen dem Wunsch in der Urkunde zur Grundsteinlegung „Möge dieses Werk der Menschenliebe für unsere Stadt und deren gegenwärtiges und zukünftiges Geschlecht reichen Segen bringen“ weitgehend umzusetzen.

So bin ich der sicheren Meinung, dass 2005 bei der kompletten Übersicht der hundertjährigen modernen Geschichte berichtet werden kann, daß auch die Anforderungen der Jahre um den Jahrtausendwechsel von diesem Krankenhaus mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Berufssparten erfolgreich gemeistert werden konnten.

Ich wünsche den heute im Krankenhaus arbeitenden Menschen hierzu eine gute und gedeihliche Zusammenarbeit zum Wohle der Patienten und damit auch zum Wohle des Hauses, dessen Verkauf in private Trägerschaft der Weg in eine gesicherte Zukunft der Einrichtung sein möge.

Ad multos annos! Helfen auch Sie mit!