Bei Durchsicht der alten Zeitungsbände auf Meldungen in Zusammenhang mit dem Krankenhaus fällt am 8. Oktober 1906 auf, daß es bereits vor neun Jahrzehnten die Möglichkeit gab, durch Zahlung einer Geldbuße zugunsten eines sozialen Zweckes wie der Zuwendung zum Krankenhaus strafffrei zu bleiben (die Meldung ist im Faksimile abgedruckt).
Da das Krankenhaus bis Mitte 1951 eine städtische Anstalt war, nahm es einen breiten Raum in den alljährlichen Verwaltungsberichten des Magistrats ein, von denen einige als Beispiel und aufschlußreiche Information über Belegung und Kosten in den Anfangsjahren im Faksimile hier abgedruckt sind. Es mutet heute fast unglaublich an, daß im gesamten (Rechnungs)Jahr 1906 die Einnahmen 5.736,80 und die Ausgaben 6.149,64 Mark betrugen, mithin der benötigte Zuschuß der Stadt für den laufenden Betrieb ganze 412 Mark und 84 Pfennige, zu denen noch 2.515 Mark an Zinsen und Tilgung für das zum Krankenhausbau aufgenommene Kapital kamen! Man muß allerdings, wie schon früher betont, die allgemeine Kostensituation der Zeit mit berücksichtigen! So kostete 1906, um nur einiges zu nennen, des Pfund Rindfleisch 72 Pfg., der Liter Weißwein 40 und 50 Pfg., ein Kilo Weizen 19 Pfg., der Zentner Speisekartoffeln „einschließlich Sack“ (!) 3 Mark, eine Brille „mit prima Gläsern“ ab 1.50 Mark, ein Knaben-Anzug ab 4.50 Mark, und der Stundenlohn für einen Maurer im Akkord betrug „bis 50 Pfg.“ (47).
Die Belegungszahlen im alljährlichen Verwaltungsbericht erscheinen nach heutigen Maßstäben recht gering, doch das täuscht. Im ersten Jahr wurden 160 Kranke aufgenommen, im Rechnungsjahr 1906 waren es 143, im Berichtsjahr 1909/10 betrug ihre Zahl 169 und 1912 zehn weniger, um nur einige Beispiele zu nennen. Dabei muß man sehen, daß nur 17 Betten zur Verfügung standen, doch noch wichtiger ist der Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Noch war im überwiegend landwirtschaftlich geprägten Idstein (1900 wurde in 230 der 364 Wohnhäuser der Stadt Vieh gehalten) und erst recht in den benachbarten Gemeinden, die zum Einzugsbereich der Anstalt gehörten, die Großfamilie selbstverständlich, in der die Pflegeleistung für Angehörige so weit wie möglich geleistet wurde, unterstützt von der Gemeindeschwester.
Hinzu kamen die Bedenken vieler älterer Bürger/innen vor dem Unbekannten, Neuen, und nicht zuletzt die Kostenfrage. In Land- und Forstwirtschaft Beschäftigte unterlagen nicht der Regelung durch das Gesetz zur Krankenversicherung von 1893. Noch 1903 war mit 4.836 weitaus die größte Zahl der Krankenkassen in Preußen Betriebskrankenkassen (40); in Idstein hatte die Lederfabrik Landauer und Donner bis zum 1. Juli 1928 eine solche. Außer dieser und der „Gemeinsamen Ortskrankenkasse“ gab es hier noch einen Bürger-Kranken-Verein und eine Kinder-Krankenkasse, zu denen im zweiten Jahrzehnt noch der Krankenkasse-Unterstützungsverein kam. Dennoch waren durchaus nicht alle Einwohner auch krankenversichert. Für 1913 sind die Zahlen bekannt: Laut Mitteilung von Bürgermeister Leichtfuß in der Stadtverordneten-Versammlung vom 11. Januar 1916 waren im Berichtsjahr von 184 Patienten im Krankenhaus nur 144 Kassenmitglieder (48).
Bezeichnend für das Eintreten der Einwohner für ihr Krankenhaus ist ein Satz im „Eingesandt“ der Diakonissinnen vom 28. Dezember 1906 über die Sammlung zu Weihnachten: „Aus j e d e m Hause, dessen Bewohner der gelderhebende Junge zu Hause fand, brachte er einen Beitrag“. Die vom Diakonissen-Mutterhaus Frankfurt entsandten beiden Schwestern wurden im Sommer 1907 zurückgerufen; für knapp zwei Jahre stellte das Paulinenstift Wiesbaden zwei Schwestern und ab 1. April 1909 der „Verein vom roten Kreuz“.
Ein schwerer Verlust, nicht nur für das Idsteiner Krankenhaus, war am 7. April 1907 der Tod des Arztes Dr. Gustav Justi, der hier seit 1865 wirkte und kurz nach Eröffnung des hiesigen Krankenhauses „zum dirigierenden Arzte desselben gewählt“ wurde. Als Nachfolger bestellten die Stadtverordneten auf Vorschlag des Magistrats ab 1. April 1909 Dr. Friedrich Klein einstimmig zum „leitenden Arzt des städtischen Krankenhauses“.
Eine kurios anmutende Information findet sich im Bericht über die Versammlung der Stadtverordneten am 14. August 1913. Eine verstorbene Bürgerin vermachte dem Krankenhaus ihr Sterbebett. Das Gremium beschloß, „dies Vermächtnis anzunehmen“. Im gleichen Monat legte eine Stiftung anläßlich des 25jährigen Regierungsjubiläums von Kaiser Wilhelm II und König von Preußen den Grundstock zum heutigen zweiten Idsteiner Krankenhaus, der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik des Landeswohlfahrtsverbandes: eine Schenkung von 25 000 Mark war für eine Aufnahmestation und Krankenabteilung der Erziehungs-Anstalt bestimmt (49).