Lazarett im Vordergrund

Ausführlich befaßten sich die Stadtverordneten am 16. Januar und am 27. Februar 1914 mit dem Krankenhaus, insbesondere mit den Kosten, im Juni wurde noch die Lieferung der Lebensmittel ausgeschrieben und im Juli eine neue Köchin gesucht, doch mit dem 31. Juli änderte sich die Berichterstattung in der Heimatpresse jäh, denn „Der Kaiser verhängte über Deutschland ausschließlich Bayern Kriegszustand“. Am Tag darauf begann der Erste Weltkrieg. Nun stand bei der medizinischen Versorgung und Betreuung durch die Bürgerschaft das im Schloß eingerichtete Lazarett im Vordergrund, und wenn von Dr. med. Klein in der Zeitung die Rede war, dann bald nicht mehr als leitender Arzt des Krankenhauses, sondern als Stabsarzt „z. Zt. im Felde“. In ihrer Sitzung am 23. März 1915 bestimmten die Stadtverordneten Dr. Kecker zu seinem Vertreter im Kankenhaus.

Am 31. August 1914 berichtete die Idsteiner Zeitung von einem im Krankenhaus aufgenommenen Verwundeten, da das Lazarett noch nicht tätig war, doch schon zwei Wochen später wurden dort die ersten dreizehn leichtverwundeten Krieger aufgenommen. Der Krieg machte sich bald auch in den knapperen Lebensmitteln bemerkbar, wobei es für Krankenanstalten zunächst Ausnahmen wie zum Beispiel bei der Abgabe von Rahm (50) gab. Die Lebensmittel wurden nicht nur knapp, sondern auch teurer, was im November 1915 auf Beschluß der Stadtverordneten zur Erhöhung der Pflegesätze führte. Der Sitzungsbericht ist hier im Faksimile wiedergegeben. Allerdings waren die Krankenkassen nicht einverstanden, so daß sich die Stadtväter erneut damit befassen mußten (48). Indes hielt die Teuerung an: 1916 betrugen die Ausgaben laut Verwaltungsbericht  13.544 Mark, 1917 waren es für 148 Kranke schon 16.610 Mark. Selbst Ärzte inserierten im Januar 1917, daß sie sich „infolge der allgemeinen Teuerung genötigt“ sehen, die Mindestgebühren für ihre ärztlichen Leistungen zu erhöhen“ (51).

Zu gleicher Zeit wurde die dreimal wöchentlich erscheinende Idsteiner Zeitung, die weitgehend als Quelle für die vorliegende Publikation dient, immer dünner. Der Krieg und seine Auswirkungen beherrschten die wenigen Seiten. Die Propagierung der 6. und 7. Kriegsanleihe nahm großen Raum ein. Die veröffentlichten „Verlustlisten“ wurden immer länger; am 3. September 1917 schrieb die Heimatzeitung, nachdem innerhalb von zwei Wochen fünf Todesanzeigen mit dem „Eisernen Kreuz“ veröffentlicht werden mußten: „Die Trauernachrichten aus den Feindesländern, wo schwere Kämpfe stattfinden, mehren sich fortwährend“.

Vom Krankenhaus ist in dieser Zeit nur wenig zu lesen; der Ablauf des täglich Notwendigen hatte sich längst eingespielt. Die Zuwendung der Einwohner, wobei sich insbesondere der „Vaterländische Frauenverein Idstein“ engagierte, galt nach wie vor dem Lazarett. Eine Ausschreibung der Lieferungen für das Krankenhaus, wie sie in den früheren Jahren regelmäßig erfolgte, wäre bei dem allgemeinen Mangel ohnedies zwecklos gewesen; es gab nur noch „Zuteilungen“. So unterblieben die entsprechenden Inserate. Selbst bei den Weihnachtsfeiern, über die stets berichtet wurde, fehlt 1917 ein Hinweis auf das Krankenhaus, während vom Lazarett bis zur Kleinkinderschule ausführliche Artikel erschienen.

Im Nachruf auf den im Februar 1917 verstorbenen Prof. Nabenhauer sucht man vergebens eine Zeile zu seiner Leistung als Architekt und Bauleiter des Krankenhauses. Dagegen wird bei der Nachricht vom Tod der Oberschwester Adele Bick in einem Kriegslazarett auch festgestellt, daß sie „lange Jahre Oberschwester im hiesigen städtischen Krankenhaus“ war. Bezug auf das Krankenhaus nahmen ferner die beiden im gleichen Jahr vorgelegten Verwaltungsberichte für 1914 und 1915.

An der Lage und den Zeitungsmeldungen änderte sich im folgenden Jahr, 1918, bis Ende Oktober nur wenig. Berichte von den Kriegsschauplätzen sowie der Zeichnung der 8. und 9. Kriegsanleihe standen im Vordergrund. Im lokalen Bereich war es vor allem der Mangel an Lebensmitteln und Artikeln des täglichen Bedarfs mit allen Folgerungen. Vom Krankenhaus ist kaum etwas zu lesen, aber auch das Lazarett im Schloß wird weit weniger als in der ersten Zeit erwähnt. An ersteres erinnerte erstmals im Bericht von der Ausschuß-Sitzung der Allgemeinen Ortskrankenkasse am 13. März 1918 die Angabe, 1916 seien 4.602 Mark und 1917 schon 6.681 Mark „an Krankenhäuser“ gezahlt worden. Das läßt jedoch, da auch Patienten und demgemäß Gelder nach Wiesbaden überwiesen wurden, keinen Rückschluß auf die Idsteiner Situation zu. Wie der am 5. April 1918 den Stadtverordneten vorgelegte Verwaltungsbericht für 1916 zeigte, wurde das Krankenhaus in diesem Jahr „mit 170 Kranken belegt“.

Die nächste Erwähnung des Idsteiner Krankenhauses am 27. Mai 1918 hatte einen tragischen Hintergrund: Eingeliefert wurde ein jungen Mann aus Breithardt, der nach Flucht aus russischer Kriegsgefangenschaft seine Braut als Geliebte seines Bruders vorfand. Er tötete seine Verlobte, verletzte sich selbst beim Versuch des Selbstmordes schwer, daß er ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Auch das eine Folge des schon fast vier Jahre dauernden Krieges. Zu lesen ist ferner in Danksagungen nach Beisetzungen auch Dank „den Schwesten des städtischen Krankenhauses für die liebevolle Pflege“ (52).

Nach über vier Jahren waren die Menschen kriegsmüde. Am 4. Oktober 1918 sollten sie noch einmal mit einem Aufruf im Lokaltel der Idsteiner Zeitung „Mehr Mut!“ zum Durchhalten motiviert werden: „Mit Kleinmut und Verzagtheit bekämpft man große Geschehnisse nicht! Mut und Zuvertrauen vermögen Wunder zu wirken!“ Doch das Wunder blieb aus. Immer mehr verdichteten sich die Ankündigungen vom bevorstehenden Kriegsende, und am 12. November hieß es: „In den letzten 48 Stunden ist Ungeheures, Ungeheuerliches geschehen“. Der Waffenstillstand war vereinbart und wurde am 11. November unterzeichnet. Die Waffen ruhten.