Die Kosten stiegen astronomisch

Der Krieg war beendet, doch seine Folgen noch lange nicht überwunden. Das zeigte sich auch an Begebenheiten, die das Krankenhaus berührten. Man brauchte nicht lange darauf zu warten. Schon in ihrer Sitzung am 22. November 1918, der ersten nach dem Zusammenbruch, die Stadtverordneten-Vorsteher Anstaltsdirektor Johann Jakob Schwenk mit den Worten eröffnete “Unsere heutige Sitzung fällt in eine traurige Zeit”, mußten sich die Stadtverordneten mit einer Eingabe von Dr. Klein befassen, die den Sorgen der Zeit kaum angemessen war. Er beantragte eine Nachzahlung seiner Vergütung als leitender Krankenhausarzt für die zwei Jahre, die er als Stabsarzt beim Heer war. Das Gremium lehnte dies ab, wobei das Argument aufschlußreich für die Organisation des Krankenhauses ist: Die Funktion des leitenden Arztes sei keine eines etatmäßig angestellten Beamten, “sondern es handelt sich hier um die Mühewaltung im Nebenamt” (53). Dr. Friedrich Klein war übrigens noch Stadtverordneter, da in den Kriegsjahren nur Ergänzungswahlen stattfanden, und er blieb es vorerst, da die Besatzungsmacht aus Angst vor einer “schädlichen Wirkung” auf ihre Behörden zunächst Wahlen verbot.

Auch der nächste Anlaß für die Stadtverordneten, sich mit dem Kankenhaus zu befassen, betraf Finanzielles: Im Januar 1919 gab es Gehaltserhöhungen und Teuerungszulagen unter anderem für die beiden  in diesem stationierten Krankenschwestern. Daß im Oktober gleichen Jahres abermals die Vergütung der Schwestern ebenso wie die Verpflegungsgebühren im Krankenhaus erhöht werden mußten, war der Beginn einer Entwicklung, die zur Inflation führte.

Zunächst jedoch galt es, andere Kriegsfolgen im Krankenhaus zu behandeln, was leider nicht immer zum Erfolg führte. Zwei Fälle mit unterschiedlichem Ausgang sind hier im Abdruck der Originalberichte dokumentiert. Der erste, begründet in der miserablen Versorgungslage, ging trotz der ärztlichen Bemühungen im Krankenhaus tödlich aus, der zweite und leider nicht einzige jener Zeit war Folge eines Munitionsfundes.

Neugewählt wurde in der Sitzung der Stadtverordneten am 24. November 1919 die Krankenhaus-Kommission, die aufgrund des (auch kommunal)politischen Wandels neue Namen aufwies. In den folgenden Jahren ist nur wenig über das Krankenhaus zu lesen, und das wenige ist kaum erfreulich. Zwar wird das Jahrzehnt nach dem Ende des Weltkriegs in der Rückschau oft als die “Goldenen Zwanziger” (Jahre) verklärt, aber sie waren alles andere als “golden”. An ihrem Beginn steht die Inflation, an ihrem Ende die Wirtschaftskrise mit der Millionen-Arbeitslosigkeit und allem damit verbundenen sozialen Elend sowie politischer Radikalisierung.

Im Juli 1921 hielt es die Krankenhauskommission für notwendig, einen Arzt als beratendes Miglied zu den Sitzungen hinzuzuziehen. Man nahm auf Vorschlag des Magistrats Dr. Petsch. Ebenfalls im Juli 1921 fand auf Veranlassung des Magistrats eine Revision des Krankenhauses durch den Kreisarzt statt. Über das Ergebnis ist nichts bekannt, da die Stadtverordneten nur schriftlich davon unterrichtet wurden (54). Wie es ums Krankenhaus bestellt war, belegt allerdings ein Aufruf des seit 22. April 1920 amtierenden Bürgermeisters August Holstein vom 19. Juli 1921 an die “hiesige Bürgerschaft” mit der Bitte um Beiträge zur Ausgestaltung des Hauses: “Vieles Notwendige mußte während der Kriegsjahre zurückgestellt werden”.

Daß auch weiterhin vieles unerledigt bleiben mußte, war durch die bereits erwähnte Inflation bedingt. Zwar kann man ihren Beginn mit der Ausgabe der ersten nur einseitig in gewöhnlichem Schwarzdruck gehaltenen Banknoten im Wert von 500 Mark auf den 7. Juli 1922 datieren, doch das kam nicht “aus heiterem Himmel”, sondern machte den immer größer werdenden Geldbedarf nur augenfällig (55). Bereits am 1. April 1922 wurden die Krankenhaus-Pflegesätze je Tag für Einheimische/Auswärtige in der 1. Klasse 100/125, in der 2. auf 75/90 und in der 3. auf 35/50 Mark erhöht.

Die Gründe der Entwicklung reichen bis in den Weltkrieg zurück, als die riesigen Kriegskosten mit kurzfristigen Anleihen anstatt mit hohen Steuern finanziert wurden. Schon 1918 war die Kaufkraft der Mark auf die Hälfte ihres Wertes von 1914 gesunken. Hinzu kamen die unvorstellbar hohen Belastungen durch Besatzungskosten, Kriegsopferversorgung und vor allem die Reparationen, die Deutschland an die Siegermächte zahlen mußte. Ihren absurden Höhepunkt erreichte die Inflation im Sommer und Herbst 1923.

In der Sitzung der Stadtverordneten am 4. Oktober des Jahres antwortete Bürgermeister Holstein auf die Frage nach den Krankenhauspflegesätzen, daß diese seit Anfang September wöchentlich revidiert würden! Ihre Höhe wurde letztmals für 1923 am 22. Juni veröffentlicht; die Sätze betrugen in der 1. Klasse für Einheimische 40 000 Mark täglich (!), für Auswärtige 52 000 Mark. In der 2. Klasse waren die Werte 28 000 und 40 000, in der 3. für die Abrechnung mit der hiesigen Krankenkasse 12 000 und 18 000 Mark, für Kinder bis zu 10 Jahren 8 000 Mark.

Danach wurden sie für das Jahr nicht mehr veröffentlicht, was auch sinnlos gewesen wäre: Die hier abgedruckten Beispiele der täglichen Informationen sprechen für sich. Wenn sich der Dollarkurs in nur fünf Tagen von 1,25 Milliarden auf 2,52 Mrd. Mark gut verdoppelte, hätte sich die Angabe der Pflegesätze für die wenigen Patienten kaum gelohnt. Es genügte, wenn jeden Tag der Dollarkurs und alle paar Tage die immer rascher steigenden Preise für Milch, Brot, Fleisch und andere Artikel und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs mitgeteilt wurden!

Sie stiegen auf astronomische Zahlen. Schließlich war ein Wochenverdienst von 4,8 Billionen Mark für Ledige und 12,269 Bio (12 269 000 000 000) Mark für Verheiratete steuerfrei! Im Zeitungskommentar hieß es: “Zermürbt an Körper und Seele droht weiten Bevölkerungsschichten die Not über den Kopf zu wachsen”. Daß in dieser Situation die Stadt nur das Allernotwendigste für das Krankenhaus tun konnte, versteht sich von selbst. Unter diesem Aspekt ist auch die Verwunderung des Stadtverordneten Max Kirmsse am 4. Oktober 1923 zu sehen, “daß lange keine Sitzung der Krankenhaus-Kommission stattgefunden habe”. Was sollte sie in dieser verrückten Zeit schon planen oder entscheiden?! Erwähnt wurde in der Zeitung die Aufnahme von Patienten ins Krankenhaus verständlicherweise nur, wenn es besondere Anlässe wie Unfälle gab.

Zu der ohnedies schwierigen wirtschaftlichen Lage kam im Sommer 1924 durch wochenlang anhaltende Regenperiode eine Erntekatastrophe, wie sei laut Idsteiner Zeitung “seit Menschengedenken nicht zu verzeichnen war” (56). Der Gesundheitszustand insbesondere der Jugend war schon 1923 katastrophal (57) und konnte sich nicht bessern. Zudem hatten die Stadtverordneten sich mit der zunehmenden Erwerbslosigkeit zu befassen. Bürgermeister Holstein sprach zur Eröffnung des 3. Verkehrstages am 17. August 1924 wohlbegründet von “Zeiten schwerster Not”. Die politischen Spannungen wirkten sich auch auf die Kommunalpolitik aus, so daß die Sitzung der Stadtverordneten am 2. September wegen Tumult im Publikum abgebrochen werden mußte (58). Erst am 19. September wurden die neuen Pflegegeldsätze für das Krankenhaus festgesetzt. Sie waren zwar deutlich höher als vor dem Krieg, jedoch dem allgemeinen Preisgefüge angemessen.