Zweifel am Hospital-Beginn

Zurück zur Frage nach dem Hospital in Idstein. Hier muß sowohl wegen fehlender früher Dokumente, „Mangel an Nachrichten“, wie Rizhaub vergleichbar für die Stiftschule feststellt (26), als auch wegen widersprüchlicher Angaben aus späterer Zeit manches unklar bleiben. Das Kirchenbuch beginnt erst 1594. Wie schwierig manche Daten und Fakten einzuordnen sind, zeigt Max Ziemer (27) am Beispiel des Pfarrers Johann Lesch auf, der „1583 der Pest erlegen sein soll, wie Rizhaub meldet“, der jedoch „nach einer Bemerkung in den Präsenzrechnungen erst im Jahre 1598 sein Testament aufgesetzt hat“.

Das Hospital, verkürzt Spital, war, wie sein Name besagt, abgeleitet vom lateinischen hospes (Fremdling, Gast) ursprünglich eine Fremdenherberge. Die „Gäste“ waren vornehmlich kranke Durchreisende, die in den Orten ihres Aufenthaltes keine pflegenden Angehörige hatten und im Hospital versorgt wurden. Allerdings kam das Spital auch pflegebedürftigen Einheimischen zugute.

Dekan Keller (8) beschreibt die Funktion des Idsteiner Hospitals wie folgt: „Es diente den Durchreisenden, krank gewordenen Fremden oder auch armen, dürftigen Leuten wenigstens auf einige oder mehrere Tage Unterkunft zu verschaffen“. Aus ihrem christlichen Selbstverständnis sorgte die Kirche durch tätige Nächstenliebe zum Teil schon vor den Ende des 11. Jahrhunderts beginnenden Kreuzzügen für Arme, Kranke und Sieche. Durch die Reichspolizeiordnung von 1552 wurde die Armenpflege zur Gemeindesache erklärt. Wie sehr sich Armen- und Krankenpflege annäherten, zeigt die Öffnung der ursprünglich für Aussätzige bestimmten Anstalten für Alte und Gebrechliche seit Anfang des 16. Jahrhunderts. Aus den zur Aufnahme und Verpflegung der Kranken bestimmten Häusern entwickelten sich die Krankenhäuser. Damit begann eine neue Epoche der Krankenpflege. So weit war es jedoch zur hier geschilderten Zeit noch nicht.

Wie erwähnt, bezweifelt Karl Heinz Schmidt (10) die Angabe, mit dem Martinsstift sei schon ein „Hospital“ verbunden gewesen. Er schreibt dazu: „Graf Gerlach, der in Idstein die Gründung des Stifts betrieben hat (durch kirchenrechtlichen Akt vollzogen am 25. August 1340), hat praktisch parallel dazu in Wiesbaden ein Hospital gestiftet. Die Stiftung wird vom Mainzer Erzbischof Gerlach (einem Sohn des Grafen) am 19. März 1353 bestätigt (28). Ich könnte mir vorstellen, daß Gerlach mit der Stift-Gründung in Idstein und der Hospital-Stiftung in Wiesbaden ,genug‘ für sein Seelenheil getan hatte und in Idstein eben kein Hospital gestiftet hat. So reich war er auch nicht!“

Letzte Klarheit ist schwer zu gewinnen. Zwar gibt Dekan Keller an, das (frühe) Hospital „besaß außer einem Haus geeignete Grundstücke und einige kleine Kapitalien“, aber das kann auch für eine spätere Zeit gelten. So schreibt Max Ziemer (29), jedoch ohne Quellenangabe, zwar: „Schon in der katholischen Zeit war mit dem Martinstift eine Lateinschule verbunden“, doch von einem wie immer gearteten Spital ist nicht die Rede.

Wenn die Vermutung von Dr. Schmidt zutrifft – und kein bekanntes Dokument spricht dagegen – (10), „die Anfänge eines irgendwie gearteten ,Hospitalwesens‘ in Idstein dürften mit der Säkularisierung (Umwandlung von geistlichem Besitz und Rechten in weltlichen) des Stifts und der damit möglich gewordenen Verwendung des Stiftvermögens und der Stift-Einkünfte für schulische und karitative Zwecke zusammenhängen“, so entstand das Hospital als Vorläufer des Krankenhauses immerhin vor deutlich mehr als vierhundert Jahren.

Das Ende des Stiftes war ein langer, auch von reichsrechtlichen Bestimmungen beeinflußter Prozeß. Gegenüber der Reformation, die sich in der Nachbarschaft (Hessen, Nassau-Weilburg) ausbreitete, hielt sich der 1558 gestorbene Idsteiner Graf Philipp II, genannt der Altherr, vorsichtig taktierend zurück (30). Im Jahre 1549 ordnete er die personelle Besetzung, um „das Stift noch am Leben zu erhalten“ (31). Zwei Jahre später, 1551, will der Trierer Erzbischof dem Grafen einen katholischen Priester zur Wiederbesetzung der durch den Tod freigewordenen Stelle des Stiftsdekans schicken, hat damit aber beim Grafen keinen Erfolg mehr. Dieser nimmt kraft Patronatsrecht die rechtliche Funktion des Stiftsdekans selbst wahr. Rechtlich nahm das Stift als katholische Einrichtung am 20. Juli 1553 sein Ende, als drei gräfliche Beamte die Urkunden des Stifts inventarisierten und damit das Stiftsvermögen in einen protestantischen Vermögensfonds einbrachten.

Die neue Rechnungsführung begann 1560. „Die Vermögensverwaltung des  früheren Stifts wurde von einem Präsenzmeister geleitet, den der Graf einsetzte… Die Einkünfte, wie sie in den Präsenzrechnungen erschienen, hatten vor allem der Besoldung der Geistlichen und der Gymnasiallehrer in Idstein zu dienen. Man… bedachte auch mildtätige Stiftungen, wodurch die mittelalterliche Tradition der Armenspenden weitergeführt wurde“ (31), schreibt Dr. Fritz Geisthardt. Auch hier ist also nichts von einem Hospital ausgesagt, das nach allen bisherigen Erkenntnissen spätestens um diese Zeit entstanden sein müßte.

Immerhin ist Dekan Keller der Ansicht (10), daß die älteste vorliegende Hospitalordnung „schon von dem dreißigjährigen Kriege herstammen dürfte“, also aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. In ihr „wird in betreff des Hospitals bestimmt, daß zweien Rathsverwandten die spezielle Aufsicht übertragen werde. Sie mußten in demselben zweimal wöchentlich erscheinen, bei dem Spitalmeister Erkundigungen einziehen, bei den Kranken sorgfältige Nachfrage über Verpflegung und dergleichen anstellen. Die Kranken, die ankamen, sollten eine Tag- und Nachtherberge erhalten, auch nach Bedürfnis länger“. Nirgends ist jedoch etwas über den Standort des frühen Hospitals zu finden.